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Fachartikel
28.3.2023

Interview: Prof. Dr. Bruno Burger, Fraunhofer ISE - Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen der Energiewende

Lesedauer:
5 min

Wir bei Kyon Energy hatten die Möglichkeit in einem Interview mit Herrn Prof. Dr. Bruno Burger über die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen der Energiewende zu sprechen. Er ist Senior Scientist am Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme (ISE), Energieexperte und Initiator der Energy Charts.

Kyon Energy: Wie hoch ist der jährliche Bedarf an elektrischer Energie in Deutschland aktuell und wie hat sich dieser in den letzten Jahren verändert?
Prof. Dr. Bruno Burger: Im Jahr 2022 hatten wir einen Bruttostromverbrauch von 550 TWh. Die folgende Tabelle zeigt die Veränderungen des Verbrauchs in den letzten dreißig Jahren.

Wohin wird er sich Ihrer Ansicht nach in den nächsten Jahren weiterentwickeln - vor Allem, wenn die Elektrifizierung des Wärme- und Mobilitätssektors voranschreitet?

Durch die Sektorkopplung wird der Stromverbrauch ansteigen, u.a. weil wir Sektoren wie Verkehr und Wärme elektrifizieren. Entsprechend muss auch die Stromerzeugung ansteigen. Bis zum Jahr 2045 prognostiziert das Fraunhofer ISE knapp 1.400 TWh Strom in der Verwendung (siehe Abbildung).

Bis 2030 hat sich Deutschland das Ziel gesetzt 80% des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zu beziehen und Kraftwerke mit nicht erneuerbaren Primärenergieträgern schrittweise abzuschalten. Aktuell liegt der Anteil Erneuerbarer bei ca. 50%. Bewerten Sie die Zielsetzung der Regierung als realistisch?
Die Ziele der Bundesregierung sind realistisch und decken sich auch sehr gut mit unseren Berechnungen.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Fortschritt der Energiewende?
Nachdem wir fast 10 Jahre durch die Strompreisbremse von den Ministern Altmaier und Rösler verloren haben, müssen wir vieles aufholen. Die jetzige Regierung setzt alles daran, dass die Energiewende möglichst schnell vorankommt. Im Jahr 2022 wurden schon viele Weichen dafür gestellt. 2023 muss jetzt zeigen, dass die Ziele erreichbar sind. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien kommt wahrscheinlich schneller voran als der Ausbau der Netze.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, die es diesem notwendigen Umbau der Strominfrastruktur zu bewältigen gilt?
Die Größte Herausforderung ist nicht die Technik. Dort sind wir schon sehr weit gekommen. Die Herausforderung sehe ich darin, die komplette Bevölkerung an der Energiewende zu beteiligen und sie dafür zu motivieren. Der aktuelle Streit in der Politik zeigt, dass die Bevölkerung und auch die Politik teilweise beim geplanten Tempo nicht mehr mithalten können.

Wie kann die Integration von erneuerbaren Energien in das bestehende Stromnetz verbessert werden?
Wir brauchen mehr Stromleitungen von Nord nach Süd. Leider hatte Bayern diesen Ausbau lange blockiert. Doch jetzt soll es voran gehen. Im Netz brauchen wir Kurzzeitspeicher (Batteriespeicher), um die Mittagsspitze bei der Solarstromerzeugung speichern zu können. Zusätzlich sind mehr Daten und Messwerte zur Optimierung des Netzbetriebs notwendig. Für Zeiten mit hohen Anteilen Erneuerbarer Energien, aber zu geringen Transportkapazitäten, brauchen wir außerdem eine Möglichkeit, die Stromflüsse ins Ausland zu limitieren.  

Was muss sich aus Ihrer Sicht verändern, damit wir die Energiewende meistern können?
Wir brauchen ein klares Bekenntnis aller Parteien zur Energiewende. Die ständigen Diskussionen um Importe von Wasserstoff und E-Fuels lähmen uns und halten uns von der Arbeit ab.

In den vergangenen Wochen hat die Bundesregierung den Fokus nochmals stärker auf den Ausbau Erneuerbarer gelegt und möchte diesen intensiver vorantrieben. Wie viel installierte PV- und Wind-Leistung benötigen wir in Deutschland, um das 80 % Ziel zu erreichen?
Die Bundesregierung will bis 2030 215 GW Solar, 115 GW Wind Onshore und 30 GW Wind Offshore installiert haben. Das deckt sich sehr gut mit unseren Berechnungen.

Welche Zubau-Raten müssen wir dafür jährlich erfüllen?
Bei der Solarenergie werden die Ausbauraten auf 22 Gigawatt (GW) pro Jahr gesteigert. Die Leistung der Windenergie an Land soll um bis zu 10 GW pro Jahr steigen. (BMWK)

Bereits heute wird viel Strom aus Erneuerbaren Kraftwerken abgeregelt, da die Netze lokal nicht aufnahmefähig sind. Zudem wird es ab einer bestimmten installierten PV und Windleistung immer mehr Zeiten geben, in denen der erneuerbare Strom die gesamte Last in Deutschland deckt. Welche Rolle schreiben Sie hier Batteriespeicheranlagen zu?
Batteriespeicher sind sehr wichtig für den kurzzeitigen Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch. Deshalb müssen wir sie bis 2030 kräftig ausbauen.

Welche Speicherkapazität ist Ihrer Abschätzung nach notwendig, um das 80 % Ziel erreichen zu können? (Bezogen auf stationäre Großspeicher)Nach unseren Berechnungen brauchen wir bis 2030 250 GWh Batteriespeicher. Davon sind ca. 150 GWh mobile Batterien und ca. 100 GWh stationäre Batterien.

Welche Maßnahmen sollten Politik und Wirtschaft ergreifen, um den Ausbau erneuerbarer Energien und den Einsatz von Batteriespeichern weiter voranzutreiben?
Erstmal müssen alle Hürden, die in den letzten zehn Jahren aufgebaut wurden, wieder abgebaut werden. Dieser Prozess läuft schon sehr gut. Die regierenden politischen Parteien müssen sich klar zu den erneuerbaren Energien bekennen und nicht immer wieder die Diskussion auf alte Technologien (Kernenergie, Verbrenner) oder noch nicht verfügbare neue Technologien (SMR, Kernfusion) lenken. Diese Diskussionen kosten viel Kraft, verunsichern die Bürger und bremsen die Energiewende aus.

In der Politik wird viel über den Einsatz von „grünem Wasserstoff“ gesprochen. Dieser soll mit Elektrolyseanlagen erzeugt und später mit Brennstoffzellen oder in Gasturbinen rückverstromt werden. Wie stehen Sie zu diesem Ansatz? Ist eine Umsetzung bis 2030 realistisch?
Nach unseren Berechnungen müssen wir uns bis 2030 auf den Zubau von Wind, Solar, Batterien und Netzen konzentrieren. Erst danach haben wir ausreichend Überschüsse für die Elektrolyse zur Erzeugung des erneuerbaren (grünen) Wasserstoffs. Diesen verwenden wir aber zuerst in der Industrie als wichtigen Rohstoff. Erst ab ca. 2040 werden wir genügend Wasserstoff für die Rückverstromung haben. Ich beteilige mich übrigens nicht an der Farbenlehre beim Wasserstoff. Sie dient nur zur Verschleierung. Grüner Wasserstoff ist erneuerbarer Wasserstoff und blauer Wasserstoff ist fossiler Wasserstoff. Die Farbe Blau passt absolut nicht zur fossilen Herkunft des Erdgases, aus dem der Wasserstoff produziert werden soll.

Aus unserer Sicht sind die Wirkungsgrade für diese Art der Speicherung von Strom zu schlecht, um kurzfristige Erzeugungsspitzen zwischenzuspeichern und wenige Stunden später wieder ins Netz zurückführen. Wir sind deshalb der Meinung, dass eine stärkere Flexibilisierung der Last und mehr hocheffiziente Kurzfristspeicher notwendig sind. Wie sehen Sie dieses Thema?
Ja, das sehen wir auch so. Wichtig sind zuerst die Kurzzeitspeicher. Sie speichern uns Solarstrom vom Mittag in die Abendstunden und Windstrom aus der Nacht für die Morgenstunden. Momentan steigt der Zubau der Batteriespeicher sehr schnell an. Wenn es mit diesem Tempo weiter geht, wird die Leistung der Batteriespeicher schon in zwei Jahren größer sein als die Leistung der Pumpspeicher.

Welche Rolle spielen die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des Fraunhofer-Instituts ISE bei der Umsetzung der Energiewende und welche Projekte führen Sie derzeit durch?
Das Fraunhofer ISE arbeitet an vielen verschiedenen Technologien für die Energiewende, u.a. Entwicklung von Solarzellen und Solarmodulen, Wechselrichtern, Ladeinfrastruktur für Elektroautos, Regelungs- und Steuerungstechnik, Stromnetzen, Wärmekonzepten und Wärmepumpen, Gebäudetechnik, Solarthermischen Kraftwerken, Batterietechnologien, Brennstoffzellen und Elektrolyse, Systemsimulationen, u.v.m. Wir unterstützen auch die Industrie bei der Dekarbonisierung, sowohl im Wärme- als im Strombereich.

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